Liebe Anwesende,
schön, dass Sie heute hier sind. Die Atmosphäre der Marktkirche hat ja etwas, das einen sofort ein bisschen entschleunigt. Draußen ist der Weihnachtsmarkt, da geht’s zu wie jedes Jahr: laut, voll, bunt. Und hier drinnen wird es ruhiger, klarer. Man hört sich selbst wieder denken. Das tut gut – gerade in einer Zeit, in der vieles gleichzeitig passiert und alles irgendwie ein bisschen viel wird.
Der Bibelvers, über den ich heute sprechen möchte, lautet:
„Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.“
Ich mag diesen Vers, weil er überraschend unaufgeregt ist. Kein großes theologisches Konzept, kein schwerer Unterton. Eher eine Art kleine Orientierungshilfe: Wie gehen wir eigentlich miteinander um? Wie bleiben wir in Kontakt – gerade dann, wenn es schwierig ist?
Im letzten Jahr habe ich selbst erlebt, wie wichtig das ist. Meine Mutter ist mit 91 Jahren gestorben. In einem Alter, in dem man weiß, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem das Leben sich rund anfühlt. Es war ein stiller Abschied. Aber selbst ein stiller Abschied verändert etwas im eigenen Blick auf das Leben. Man merkt, wie viel es ausmacht, wenn Menschen einfach da sind – ohne große Worte, ohne schnelle Lösungen. Menschen, die das mit aushalten, was gerade ist.
Und genau das, finde ich, beschreibt dieser Vers sehr treffend: Miteinander sein – nicht nur, wenn alles leicht ist, sondern auch dann, wenn es ein bisschen schwerer wird.
Jetzt könnte man sagen: Das ist eine schöne Idee für den privaten Bereich. Aber ich stehe heute ja nicht als Pastorin hier, sondern als Politikerin. Und da wirkt dieser Satz für mich ganz anders weiter.
Wenn man sich anschaut, wie wir gesellschaftlich miteinander reden, dann fällt auf: Wir verlieren zunehmend die Fähigkeit, auszuhalten, dass andere anders denken. Es geht schnell um Lager, um Zuschreibungen, um Empörung. Wir haben immer weniger Geduld für Zwischentöne.
Ich merke das im politischen Alltag ständig. Da versuchen wir manchmal gar nicht mehr herauszufinden, warum jemand etwas sagt, sondern nur noch, wo wir ihn oder sie politisch einordnen können. Und dann ist das Gespräch eigentlich schon beendet, bevor es begonnen hat.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Diskussion über das Stadtbild, die Friedrich Merz angestoßen hat. Eigentlich wäre das ein Thema, über das man wunderbar sachlich streiten könnte. Wie soll eine Stadt aussehen? Was bewahren wir, was entwickeln wir weiter? Welche Werte spiegeln sich in Architektur wider?
Aber die Debatte war kaum gestartet, da ging es schon wieder darum: Wer ist rechts? Wer ist links? Wer darf so etwas sagen? Wer nicht? Und am Ende redet man nicht mehr über das Thema, sondern nur noch über die Einordnung des Themas.
So verlieren wir wichtige Gespräche, bevor sie überhaupt stattfinden.
Ich finde, der Advent ist ein guter Moment, sich daran zu erinnern, dass wir das eigentlich besser können.
Advent hat ja nichts mit Perfektion zu tun. Es ist eher eine Zeit, die uns ein bisschen langsamer werden lässt – und uns die Chance gibt, klarer zu sehen:
Wie gehen wir miteinander um?
Wo hören wir einander zu?
Wo schalten wir zu schnell ab?
Und wo könnten wir einander das Gespräch erleichtern?
Der zweite Teil des Bibelverses ist dafür ein guter Kompass:
„Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.“
Wenn man das übersetzt in politische Sprache, dann heißt es vielleicht:
Schaut hin.
Reagiert auf das, was im Leben anderer passiert.
Und tut nicht so, als ginge euch das alles nichts an.
Echte Empathie ist keine romantische Idee – sie ist eine demokratische Fähigkeit. Und eine, die gerade ziemlich herausgefordert ist.
Denn die extremen Ränder – rechts wie links – werden lauter, fordernder, aggressiver. Sie bieten einfache Erklärungen für komplexe Probleme. Und sie bieten Feindbilder an, die vermeintlich alles schneller sortieren.
Aber das ist nicht die Art Politik, die eine Gesellschaft stärkt. Und das ist auch nicht die Art Miteinander, die wir hier im Advent feiern.
Die Mitte – also Menschen, die bereit sind zuzuhören, Kompromisse einzugehen, sich auf Diskussionen einzulassen – ist nach wie vor die Mehrheit. Sie ist nur nicht so laut. Vielleicht, weil sie nicht jede Debatte mit dem Holzhammer führen will. Vielleicht auch, weil sie glaubt, dass die Zwischentöne wichtiger sind als die Schlagzeilen.
Ich wünsche mir, dass wir dieser Mitte wieder mehr Raum geben.
Dass wir mehr Orte schaffen, an denen man sagen kann:
„Ich sehe das anders – und trotzdem können wir miteinander reden.“
Dass wir nicht sofort in Abwehr gehen, sondern erst einmal zuhören.
Dieser Bibelvers kann uns daran erinnern. Er macht uns ein Angebot: Er sagt im Grunde,
Hoffnung ist nicht naiv. Geduld ist kein Zeichen von Schwäche. Und miteinander auszuhalten ist eine Stärke.
Und wenn man es ganz alltagspraktisch formuliert:
Wir müssen nicht jede Debatte gewinnen.
Wir müssen nicht jede Position sofort bewerten.
Aber wir sollten die Verbindung zueinander nicht verlieren.
Vielleicht fängt Veränderung wirklich klein an:
Mit einem Gespräch, das man sonst nicht geführt hätte.
Mit einer Frage, die man sonst nicht gestellt hätte.
Oder mit dem Interesse an einem Menschen, dessen Meinung man nicht teilt.
Ich wünsche uns allen für die kommenden Tage genau das:
ein bisschen Hoffnung,
etwas Geduld,
und Menschen, mit denen man die fröhlichen und die schweren Momente teilen kann.
Vielen Dank.

